Wohnverwandtschaften – Isabel BogdanVerlag: Kiepenheuer & Witsch | Seiten: 272 Erscheinungsjahr: 2024 |
Kurzbeschreibung
Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten zieht Constanze in die WG von Jörg, Anke und Murat. In dieser Wohngemeinschaft kommen vier sehr unterschiedliche Menschen zusammen, die an verschiedenen Punkten im Leben stehen. Constanzes Einzug bringt Unruhe in den Alltagstrott von Jörg, Anke und Murat und ein herber Schicksalsschlag bringt die Waagschale noch weiter ins Ungleichgewicht.
Meine Meinung
Ich möchte dieser Rezension voranstellen, dass ich ein großer Fan von Isabel Bogdans Vorgängerromanen „Der Pfau“ und „Laufen“ bin. Dieser neue Roman „Wohnverwandtschaften“ konnte mit den anderen zwei nicht mithalten – leider! Denn eigentlich waren die Zutaten für einen richtig guten Roman vorhanden, nur irgendwie wurde daraus kein stimmiges und schmackhaftes Ganzes.
Ich hatte von Anfang an Schwierigkeiten, in die Geschichte reinzukommen. Zum einen fand ich den Wechsel zwischen Fließtext und szenischen Dialogen nicht nur unerwartet oder ungewöhnlich, sondern sogar befremdlich. Zum anderen hatte ich gar nicht genug Zeit, die Figuren so wirklich kennenzulernen. Die Perspektivwechsel innerhalb der Figurengruppe sowie der Wechsel zwischen Prosa/Dialog erfolgten zu rasch und zu häufig und sorgten für eine Art Bruch in der Erzählung. Die Monologe der Figuren trugen auch nicht unbedingt zu einer Annäherung bei. Die seitenlangen und detaillierten Beschreibungen von Yoga-Posen, Fußballspielen und Massagen waren einfach uninteressant und haben nur selten etwas zur Ausgestaltung der Figur beigetragen. Insgesamt fehlte mir die Tiefe: Die Art des Erzählens hat mich auf Abstand gehalten.
Die Figuren an sich fand ich eigentlich recht symathisch und vor allem abwechslunsgreich. Aber so wirklich viel konnte ich nicht mit ihnen anfangen, was wohl auch daran lag, dass sich während der Lektüre kaum Berührungspunkte aufmachten: Da ist der abenteuerlustige, schon ältere Jörg, der eine große Reise plant und mit dem Tod seiner Frau noch nicht abgeschlossen hat. Dann Anke, eine mittelalte Schauspielerin, die laut Regisseuren ihre besten Zeiten hinter sich hat. Sie steckt in einer Sinn- und Lebenskrise und weiß weder aus noch ein. Der dritte im Bunde ist Murat, der vor Lebensfreude und -leichtigkeit nur so strotzt (was hier und da ein wenig klischeehaft umgesetzt wurde). Das Schlusslicht bildet Constanze, die neu dazukommt, weil sie sich von ihrem Partner getrennt und die Orientierung in ihrem Leben verloren hat.
Diese Konstellation sorgt witzige Zwischenfälle, aber es kommt auch immer wieder zu Bagatellen zwischen den Figuren. Diese Lappalien fand ich etwas, nun ja, lästig und nervig. Da ist zB die Rivalität zwischen Anke und Constanze: Beide sind von Murats Charme verzaubert und hätten ihn eigentlich gerne für sich. Die amourösen Verstrickungen fand ich unnötig und kamen ein wenig zu künstlich und aufgesetzt daher. Nicht nur die Konflikte scheinen oberflächlich vor sich hinzudümpeln, sondern auch die Freundschaftsbeziehungen. Es kam mir so vor als wären sie nur befreundet, weil sie unter einem Dach leben. Es war eher ein: Die Autorin sagt, ihr seid befreundet, also seid ihr jetzt auch befreundet. Da war kein Freundschaftsfunkensprühen.
Ein Lichtblick war Jörgs Perspektive. Die Trauer um seine verstorbene Frau, die auf eine liebevolle, zuversichtliche und sehr sanft-berührende Art und Weise dargestellt wird, hat mich ein wenig versöhnlich gestimmt. Er gilt als Bezugspunkt der anderen Figuren, was vor allem gegen Ende eine wichtige Rolle spielt. Die Ereignisse rundum Jörg haben mich an der Stange gehalten. Constanze ist mir bis zum Schluss ein absolutes Rätsel geblieben, ihre Figur war einfach nicht fesselnd genug – deswegen auch Schlusslicht. So wirklich ist mir von ihr nur im Gedächtnis geblieben, dass sie sich ständig an ihrem Klavier stößt.
Die Handlung erstreckt sich auf einen Zeitraum von zwei Jahren, der von vielen Zeitsprüngen geprägt ist. Diese Sprünge höhlen die Handlung aus und viel bleibt da einfach nicht übrig. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine finden auch am Rande statt, werden im Vorbeigehen erwähnt, bleiben für die Handlung aber unerheblich. Das Pacing ist rasant, aber bruchstückhaft. Das Erzählte kommt ins Schwimmen und vieles wiederholt sich.
Was ich allerdings betonen möchte, ist, dass mich die Themen, die die Autorin in ihren Roman einfließen lässt und dort bespricht, haben aufmerken lassen. Im Vordergrund steht die Erkundung alternativer Lebensgemeinschaften, abseits der Kern- und Herkunftsfamilie, die sogenannte Wahlfamilie – allerdings kam mir die Wahlfamilie in diesem Roman als ein sehr wackeliges Konstrukt vor – mir fehlte da der Kleber, der sie zusammenhält. Die Autorin schafft es mMn nicht, das Motiv der Wahlfamilie nicht vollständig zu durchleuchten und darzustellen.
Ein weiterer großer Themenkomplex ist das Alt- und Älterwerden: Es geht um Demenz, um Altersdiskriminierung von Frauen in der Filmbranche, um Tod und Verlust sowie um gesellschaftliche Erwartungen, die mit dem Erreichen bestimmter lebensweglicher Meilensteine verbunden sind. Jede Figur ist auf ihre Weise von diesen Themen betroffen – die einen mehr, die anderen weniger – und jede*r geht unterschiedlich damit um. Auch hier stechen Jörg und Anke wieder am meisten heraus, Murat und Constanze erschienen mehr und mehr als Beiwerk.
Mein Fazit
Insgesamt lässt mich der Roman mit gemischten bis enttäuschten Gefühlen zurück. Die Figuren und die Handlung konnten mich nicht mitreißen. Mir fehlte einfach eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den gewichtigen Themen Demenz, Altersdiskriminierung und Wahlfamilie. Es ist bei einem Wohlfühlroman geblieben, der zwar an manchen Stellen zwickt und zwackt. Der Vielschichtigkeit der Themen wird er aber nicht gerecht. Die Auseinandersetzung bleibt in den Ansätzen hängen, ist platt und kurz. Interessante Themenauswahl trifft auf wenig einnehmende Figuren und auf eine Handlung mit viel unausgeschöpftem Potenzial.
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