[Rezension] Endometriose. Alles, was du wirklich wissen musst

Endometriose. Alles, was du wirklich wissen musst – Dr. med. Sheila de Liz

Von oben fotografiertes Buch. Um das Buch herum liegen leere Medikamentenblister.

Verlag: Rowohlt Verlag | Seiten: 144
Erscheinungsjahr: 2024

Kurzbeschreibung

Unterleibsschmerzen, Darmprobleme, starke Blutungen, Erschöpfung – das und noch viel mehr ist Endometriose. Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Krankheiten (rund 176 Millionen Menschen weltweit leiden an dieser Erkrankung) und ist dennoch unterforscht und unterfinanziert, weshalb eine Diagnose im Schnitt erst nach knapp 10 Jahren gestellt wird – wenn überhaupt. Mit ihrem Ratgeber klärt die Ärztin und Autorin Dr. med. Sheila de Liz zu dieser Krankheit auf: Sie hilft ihren Leser*innen dabei, die Krankheit zu verstehen, erklärt wie man an eine Diagnose gelangt, welche Behandlungsstrategien es gibt und wie man seinen Alltag trotz der Erkrankung lebenswert gestalten kann.


Meine Meinung

Nachdem bei mir im Sommer 2022 tatsächlich die Verdachtsdiagnose Endometriose im Raum stand (ich selbst trug den Verdacht schon jahrelang mit mir herum), habe ich mir das Fachbuch „Endometriose“ von Mechsner aus der Bibliothek ausgeliehen. Von der Informationsflut, den medizinischen Fachausdrücken und Zusammenhängen war ich allerdings sehr schnell überfordert – dabei war ich kein Endometriose-Neuling. Ich hatte über die Jahre bestimmt alle verfügbaren Internetquellen zum Thema gelesen (die meisten davon englischsprachig). Auch der Erfahrungsbericht „In der Regel bin ich stark“ von Anna Wilken war zwar interessant, aber es war leider sehr kinderwunschlastig. Nachdem ich auf der LBM 2024 bei einer Lesung Sheila de Liz‘ Worten zu ihrem neuen Buch lauschte, klang es sehr vielversprechend.

Das Sachbuch richtet sich hauptsächlich an Personen, die sich noch nicht tiefergehend mit dem Thema Endometriose auseinandergesetzt haben, aber schon den Hauch einer Ahnung und eine solide Vermutung haben, welches gesundheitliche Problem sie plagen könnte und nun Nägel mit Köpfen machen wollen.

Mit ihrem Sachbuch räumt die Frauenärztin Dr. med. Sheila de Liz nicht nur mit Mythen und Vorannahmen auf oder beantwortet die drängendsten Fragen, sondern stellt auch eine Hilfestellung dar, wie man an eine Diagnose kommt, gibt Empfehlungen zur Arzt- und Ärztinnenwahl, zur Führung des Arzt-Patienten-Gesprächs, weist auf Probleme hin, mit denen man konfrontiert werden könnte und betont, wie wichtig es ist, sich nicht abwimmeln zu lassen und für sich selbst einzustehen. Das Buch ist ein Hilfe zur Selbsthilfe. Und beim Thema Endometriose ist das leider auch bitternötig – denn die Forschungslage ist dünn, die Finanzierungslage und das Ärztewissen ist verschwindend gering und oberflächlich.

Bei mir wurde im Herbst 2022 die Diagnose „Adenomyose“ gestellt. Das ist die Schwesterkrankheit der Endometriose, die noch unbekannter ist als die Endometriose ist. Der Adenomyosis uteri, so der Fachterminus, widmet sich die Autorin in einem kurzen Abschnitt:

„Zu dieser [zur Adenomyose; WS] kommt es, wenn die Schleimhaut […] in die Wand der Gebärmutter hinein [wandert]. Das führt zu wahnsinnig schlimmen Regelschmerzen und Next-Level-Blutungen, die sich gewaschen haben.“ (S.33f).

Das kann ich so bestätigen. Macht keinen Spaß, 0/10 would not recommend!

Weiterhin bespricht die Autorin Behandlungsstrategien, die auch leider primär auf den Kinderwunsch ausgerichtet sind. In den meisten Publikationen zu Endometriose fehlt mir eine langfristige Behandlungsperspektive, die auf Personen ohne Kinderwunsch ausgerichtet ist. Klar, ist es wichtig den Kinderwunsch zu unterstützen und ermöglichen, aber nicht alle Betroffenen tragen diesen Wunsch in sich und dem sollte Rechnung getragen werden. Wie sieht die Langzeitbehandlung aus bei Personen, die Anfang 30 sind und keinen Kinderwunsch haben? Einfach jahrzehntelang die Dienogest-Pille einwerfen und dann das Beste hoffen? Mit dieser Strategie fahre ich bisher zwar ganz gut (das Foto zeigt übrigens die von mir seit Herbst 2022 gesammelten leeren Blisterhüllen der Dienogest, die ich jeden Tag einnehme), aber ich weiß, dass es jeden Moment kippen könnte.

Komplett neu war für mich der Zusammenhang zwischen Endometriose und den Wechseljahren. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass mit Eintreten der Wechseljahre meine Beschwerden und Schmerzen einfach verschwinden würden (im Nachhinein klingt das schon sehr naiv). Aber das wäre ja auch zu einfach, oder?

Neu dazugelernt habe ich auch über das Prinzip FODMAP („Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide and Polyole“). Dabei handelt es sich um eine Liste von Lebensmitteln, die Magen-Darm-Beschwerden, die oft mit der Endometriose einhergehen, verbessern oder verschlechtern können (wie der sog, „Endo-Belly“, ein uU extrem schmerzhafter Blähbauch).

Von der Erdbeben-Theorie habe ich auch zum ersten Mal in diesem Buch gelesen:

„Die Gebärmutter sei wie ein Kontinent, und wie bei einem Kontinent gebe es immer ‚tektonische‘ Plattenbewegungen in Form von Kontraktionen […] Durch diese wiederkehrenden kleinen ‚Erdbeben‘ würden in der Tiefe der Gebärmutterschleimhaut Stammzellen geweckt, die […] anfangen zu wandern“ (S. 24f).

Und wenn sich diese Stammzellen dann an Stellen einnisten, an denen sie nichts zu suchen haben, folgen Schmerzen, Organfunktionsstörungen und Verwachsungen, eben Endometriose. Sehr faszinierend!

Sehr gut gefallen hat mir die Idee des Schlüsselkastens: Diese Schlüsselkästen fassen „alle wichtigen Facts über Endometriose“ (S. 12) zusammen und man hat so die Möglichkeit, sich einen eigenen Schlüsselbund mit relevanten Endo-Facts zusammenzustellen. Ich habe mir bei der Lektüre eigene Schlüssel zusammengesucht, die nicht explizit als solche gekennzeichnet waren. Der eigene Schlüsselbund hängt somit sehr stark vom persönlichen Wissensstand ab. Daneben gibt es auch die Taschenlampe, dabei geht es um Wissen, das nicht in „Standard-Informationsquellen“ (S. 12) zu finden ist, dabei geht es zB um den Einsatz von Testosteron bei Libidoverlust.

Das Wissen vermittelt die Autorin auf unkomplizierte, zugängliche Weise. Sie gibt sich sehr nahbar, verständnisvoll und es die Lektüre kommt einem wie ein Gespräch auf Augenhöhe vor. Gelegentlich fand ich den Sprachgebrauch allerdings ein bisschen zu lasch. Bspw schreibt sie zur Laparoskopie

„das sieht so ähnlich aus, wie beim Asiaten mit Stäbchen zu essen“ (S. 80)

– anschaulich, aber irgendwie daneben.

Beim nächsten Kritikpunkt scheiden sich bestimmt die Geister, aber ich möchte es dennoch erwähnen: Es liegt natürlich nah, Frauen als Zielgruppe dieses Sachbuchs zu fassen: Wenn man in einer binären Geschlechterordnung denkt, dann hat eine Frau nunmal einen Uterus und demnach betrifft Endometriose nur Frauen. Auf der Verlagsseite wird das Buch auch als „unverzichtbarer Ratgeber für jede Frau mit Endometriose“ beworben. Aber: Was ist mit trans und nicht-binären Personen? Sind die etwa nicht von Endometriose betroffen (Achtung, rhetorische Frage)? Während der Autorin so viel daran gelegen ist, die Erkrankung und die betroffenen Personen sichtbar zu machen, macht sie trans und nicht-binäre Personen doppelt unsichtbar. Schade! Auch dass Weiblich-Sein und Weiblichkeit so häufig betont werden, fand ich etwas ermüdend.

Außerdem fand ich die Verweisstruktur des Sachbuchs etwas umständlich: Anstatt auf eine bestimmte Kapitelnummer oder auf eine Seite zu verweisen, schreibt die Autorin lediglich „dazu später mehr“ uä. Ja, aber wo denn? Das muss man sich dann selbst mühsam zusammensuchen. Auch ein fehlendes Sachwortregister habe ich zu beklagen. Ein ordentliches Quellenverzeichnis mit Endnoten ist allerdings vorhanden.


Mein Fazit

Obwohl das Buch dünn daherkommt, täuscht der äußere Schein: Jede Seite ist randvoll mit wichtigen Informationen, zugänglich aufbereitetem Wissen und allerhand praktischer Tipps, die das Gespräch über und das Leben mit Endometriose ein wenig erleichtern können. Enthält es wirklich alles, was man über Endometriose wissen muss? Ich würde sagen: Ja! Der Ratgeber ist ein guter Einstieg und ermöglicht es, sich mit anderen Quellen weiter zu informieren. Absolute Leseempfehlung – für Betroffene, Angehörige oder Interessierte.


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