[Rezension] Geheime Geschichten für Frauen, die Saris tragen

Titel: Geheime Geschichten für Frauen, die Saris tragen
Autorin: Balli Kaur Jaswal
Original: Erotic Stories for Punjabi Widows
Übersetzerin: Stefanie Retterbusch
Verlag: Goldmann Verlag
Seiten: 480
Erschienen: 2018

 

 

Kurzbeschreibung
Nikki ist eine junge Londonerin mit indischen Wurzeln, die ihren eigenen Lebensweg noch nicht gefunden hat. Seit sie ihr Jurastudium abgebrochen hat, arbeitet sie in einer Bar. Ihre traditionsbewusste Mutter und Schwester halten wenig von Nikkis modernen Lebensstil. Als Nikki die Heiratsannonce ihrer Schwester im Tempel aufhängt, entdeckt sie eine Ausschreibung für die Stelle als Leiterin einer Schreibwerkstatt für indische Frauen. Doch als sie ihre Schülerinnen kennenlernt, wird sehr schnell klar, dass kaum eine von ihnen Lesen oder Schreiben kann. Wider Erwarten wird aus dem Alphabetisierungskurs eine Schreibwerkstatt der besonderen Art: Die Frauen beginnen aus dem Nähkästchen zu plaudern und tauschen Erotikgeschichten aus. Ohne es zu wollen, bringt Nikki Bewegung in die traditionsverfahrene indische Gemeinschaft Londons und kommt dabei wohlgehüteten Geheimnissen auf die Spur.

Meine Meinung
Als ich mir den Klappentext zum ersten Mal durchlas, wusste ich nicht was mich erwartet. Der Klappentext erwähnt mit keinem Wort, dass es sich bei den ‚geheimen Geschichten‘ um Erotikgeschichten handelt. Hätte ich mir den englischen Titel angeschaut (Erotic Stories for Punjabi Widows), wäre es mir natürlich sofort aufgefallen. Es ist mir immer noch ein Rätsel, was sich der deutsche Literaturbetrieb dabei gedacht hat, die wahre Natur dieses Romans zu verschleiern.

Anfangs habe ich mich deshalb ein wenig veräppelt gefühlt, weil ich mit dem Erotik-Genre einfach nichts anfangen kann. Es brauchte Geduld und Überwindung meinerseits diesen Roman zu lesen. Aber nun da ich das Buch ausgelesen habe, bin ich doch erleichtert, weil die Erotik nicht allzu sehr im Vordergrund stand, sondern eher als Mittel zum Zweck fungierte. Wenn man möchte, kann man die vereinzelt eingestreuten Erotikgeschichten übergehen, weil ihr Inhalt selbst nicht ausschlaggebend für die Handlung ist. Sie haben eher einen symbolischen Charakter. In diesem Roman sind sie ein Zeichen der Emanzipation. Und das finde ich grandios!

Was mir sehr gut gefallen hat, war, dass sich alle Figuren weiterentwickelt haben. Sie bleiben ihren Prinzipien zwar treu, werden jedoch offener, toleranter und liebenswürdiger. Sie setzen sich für einander ein. Auch der romantische Subplot war eher bodenständig als ein kitschiges Konstrukt, und von daher erträglich. Der Schreibstil der Autorin ist locker, humorvoll und beschwingt. Die Autorin behält aber wenn nötig eine gewisse Ernsthaftigkeit bei. Genau wie die Figuren, ist die Handlung bunt, erfrischend und facettenreich. Neben der Erotik kommen auch andere Themen zur Sprache: Ehrenmord, Mord und Tod. Auch der Generationenkonflikt und das Hin und Her zwischen Tradition und Moderne findet sich auf fast jeder Seite wieder. Insgesamt ergibt sich nach der Lektüre dieses Romans ein ganz anderes und vor allem unerwartetes Frauenbild.

Trotz meiner anfänglichen Skepsis bzw. Unwilligkeit habe ich den Roman gen Ende doch gerne und mit einem Schmunzeln auf den Lippen gelesen. Für mich war es mal ein interessanter Abstecher in die Welt der ‚Frauenromane‘. Zum Glück lässt sich dieser Roman eher auf der vom Kitsch und hemmungslosen Sex abgewandten Welthalbkugel verordnen. Hätte ich den Roman gekauft, wenn ich gewusst hätte, dass es um Erotikgeschichten geht? Eher nicht. Hätte ich einen ausdrucksstarken, humorvollen, voller Frauenpower strotzdenen Roman mit einer wichtigen Nachricht verpasst? Auf jeden Fall! Ich liebe Bücher, die es schaffen, mich so zu überraschen.

Mein Fazit
Der Roman überrascht und überzeugt aufgrund seiner starken Frauenfiguren und der Thematiken, die er anspricht. Erotik als Lautsprecher für die Stimme der Frauen. Dieser Roman ist ganz eindeutig nicht nur etwas für Frauen, die Saris tragen.

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