[Rezension] Drachenfeuer

Drachenfeuer – Wolfgang und Heike Hohlbein

Verlag: Süddeutsche Zeitung Junge Bibliothek | Seiten: 507
Erschienen: 2005

Kurzbeschreibung
Der dreizehnjährige Chris muss seine Sommerferien in Killarney verbringen, weil sein Vater dort als Sprengmeister den Bau einer Straße beaufsichtigen und leiten muss. Während seiner Streifzüge durch die Umgebung gelangt Chris durch ein Tor im Fels nach Erinn, dem Land der Feen und Elfen. Dort erwartet ihn eine Aufgabe, deren Erfüllung nicht nur über das Schicksal Erinns entscheiden wird, sondern auch über das seiner eigenen Welt.


Meine Meinung
Ich lese nur ganz selten ein Buch zweimal; wenn überhaupt höre ich mir das entsprechende Hörbuch in Endlosschleife an. Aber als ich bei meinen Eltern meine Kinder- und Jugendbücher aussortierte, fiel mir dieser Roman in die Hände. Zu meiner eigenen Überraschung konnte ich mich an nichts erinnern: weder an die Figuren, noch an den Handlungshergang und auch nicht an den Ausgang der Geschichte. Ich erinnerte mich nur daran, wie sehr mir der Roman damals gefallen haben musste, bei all den positiven Gefühlen, die er in mir hervorrief. Auch beim Lesen kamen kaum Erinnerungen zurück – so fühlt sich als vergessen an.

Während der Lektüre habe ich ganz schnell festgestellt, warum mir die Geschichte als Dreizehn- oder Vierzehnjährige so gut gefallen hat. Ich meine, wer würde nicht gerne durch ein Tor in eine andere, verzauberte Welt reisen und dort gefährliche und spannende Abenteuer bestehen? Unterhaltsam und spannend ist der Roman durchaus, aber auch extrem langatmig und der Aufbau ist sehr durchsichtig. Die Geschichte rund um das Schicksal von Erinn folgt dem im Fantasy typischen Prinzip der Heldenreise. An sich stellt das kein Problem dar, nur sind die einzelnen Bausteine dieses Musters nicht sehr gut miteinander verbunden. Der Handlungsaufbau ist leider sehr offensichtlich und durchschaubar. Die Übergänge sind etwas holprig und es entsteht keine richtige Erwartungsspannung. Erst im letzten Drittel des knapp 500 Seiten starken Romans nimmt die Handlung Fahrt auf. Davor geschieht sehr viel lästiges Hin- und Her, ohne dass die Handlung vorangeht. Chris kommt erst so ab circa Seite 200 in die Pötte und ab da ist es ein langsames Crescendo, bis dann am Ende ganz viel auf einmal passiert und es etwas unübersichtlich wird.

Sprachlich habe ich an dem Roman kaum etwas zu bemängeln. Die Erzählung ist stilistisch ausgefeilt, die Wortwahl nicht banal oder gar flach. Jede Figur erhält eine eigene sehr persönliche Erzählstimme. Aber um ehrlich zu sein, konnte ich mit Chris nichts anfangen. Für einen Dreizehnjährigen verhält er sich viel zu reif, abgeklärt und zu erwachsen. Natürlich verliert er durch Abenteuer seine naiv-kindisches Verhalten und seine Bockigkeit, das ist ja auch der Sinn der Heldenreise, aber so ganz überzeugen konnte er mich nicht. Das habe ich mit dreizehn Jahren wahrscheinlich auch anders gesehen.

Weiter haben mich einige sprachliche Vergleiche sehr stutzig gemacht. Die Autoren verwenden mehrfach Vergleichsformulierungen wie „Chris benahm/handelte an dieser Stelle wie ein Kind“ – ja, wie soll er sich denn sonst verhalten? Er ist ja schließlich noch eines. Diese Vergleiche kann man benutzen, wenn man von Erwachsenen spricht, aber nicht, wenn es um ein Kind geht. Genervt hat mich auch das Verhalten der anderen Figuren Chris gegenüber. Natürlich kann er gewisse Dinge über die Welt Erinns nicht wissen (hinsichtlich der Gefahren, der Feinde, der magischen Mechanismen usw), aber ihm daraus einen Strick zu drehen und Vorwürfe zu machen, haut in meinen Augen einfach nicht hin. Klärt ihn halt besser auf, bevor ihr ihn alleine am Flussufer zurücklasst! Die Wendungen, die die Geschichte am Laufen halten, beruhen hauptsächlich auf Chris‘ Unwissenheit. Diese Art der Handlungsführung finde ich langweilig und nicht glaubwürdig.

Allgemein erfährt Chris bzw. der Leser nur ganz wenig über Erinn. Die Welt wird nicht ausführlich genug erklärt und dargestellt, wie man es von einem Fantasyroman erwarten würde. Man erfährt nur Dinge, die für die Story oder für eine bestimmte Situation relevant sind; nichts darüber hinaus. Das hat es mir erschwert, mich in der Geschichte zurecht zu finden und komplett abzutauchen. Auch die Tatsache, dass die Autoren viele Vorausdeutungen verwenden wie „Und doch sollte er XY wieder sehen… Und sehr viel schneller als er ahnte“, war dabei nicht sonderlich hilfreich. Diese Art des Erzählens führt dazu, dass der Spannungsbogen abflacht und es dem Leser unmöglich gemacht wird, Spekulationen über mögliche zukünftige Ereignisse anzustellen.

Ehrlich verblüfft und angetan war ich von der sehr gut ausgedachten Moral der Geschichte, die tatsächlich erst im letzten Abschnitt ihre volle Wirkung entfaltet. Obwohl der Roman bereits 1988 erschienen ist, büßt sein Inhalt nichts von seiner Aktualität ein und lässt sich ohne Weiteres auf die heutigen gesellschaftspolitischen Begebenheiten übertragen. Wobei ich glaube, dass es für uns schon längst keine Rettung mehr gibt. Wir haben den Drachen schon längst entfesselt. Die Hohlbeins haben mit „Drachenfeuer“ eine erstaunlich zeitlose, reale Problematik geschickt verpackt und zu Papier gebracht.


Mein Fazit
Ich kann durchaus nachvollziehen, weshalb dieser Roman in mir so viele positive Gefühle geweckt hat. Aber nach der abermaligen Lektüre muss ich auch zugeben, dass ich nicht mehr ganz so begeistert bin wie mein Teenager-Ich es offensichtlich gewesen ist. Und das ist auch in Ordnung so. Diese abweichende Bewertung zeigt mir, dass ich mich weiterentwickelt und meinen Horizont erweitert habe. Aber, dass mich die Lektüre trotzdem erfreuen und teilweise fesseln konnte, beweist mir auch, dass ich mein inneres Kind noch nicht verloren habe. Trotz einiger Kritikpunkte und Abzüge hat es sich gelohnt, den Roman nochmal zu lesen. „Drachenfeuer“ gehört zwar nicht (mehr) zu den besten Fantasyromanen, die ich je gelesen habe, aber trotzdem verdient der Roman eine Leseempfehlung und einen besonderen Platz in meinen Bücherregal (und Herzen).

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