[Rezension] Du wolltest es doch


Titel: Du wolltest es doch
Autorin: Louise O’Neill
Übersetzerin:
Katarina Ganslandt
Verlag: Carlsen Verlag
Seiten: 368
Erschienen: 2018

Kurzbeschreibung
Emma wohnt in einer Kleinstadt und ist eine typische Schönheit. Sie wird von allen begehrt und nutzt dies auch schamlos aus. Eines Abends geht sie auf eine Party. Doch als sie am nächsten Morgen aufwacht, ist nichts mehr so wie es war. Sie kann sich an nichts erinnern. Als Fotos von ihr auf Facebook auftauchen, in denen sie bewusstlos von Mitschülern und Bekannten missbraucht und vergewaltigt wird, beginnt der Kampf: mit sich selbst, der Gesellschaft und dem Gesetz.

Meine Meinung
Der Roman erzählt eine markerschütternde Geschichte, bei der man ganz langsam den Glauben an die Menschheit und den gesunden Menschenverstand verliert. ‚Du wolltest es doch‘ ist harter Tobak und behandelt Themen wie Vergewaltigung, Depression, Selbstmord, Slut-Shaming, Sexual Consent. Und das alles auf dem Hintergrund der Sozialen Medien. Ein Themenkomplex, der dunkle Schatten wirft und stark polarisiert.

Die Autorin zeichnet mit Emmas Geschichte einen Spiegel unserer Gesellschaft bzw. einen Teil unserer Gesellschaft. Sie ruft realistische und intensive Bilder hervor, die sie zwar nicht immer gekonnt und stilsicher, aber nichtsdestotrotz glaubhaft in Worte fasst.

Man könnte sagen, dass die Figuren und ihre Konstellationen zu flach gehalten sind. Aber meiner Meinung nach liegt genau darin die Stärke des Romans. Dadurch, dass sie sehr allgemein gehalten sind, wird ganz schnell klar, dass die Ereignisse übertragbar sind und das ’sowas‘ jeder/jedem überall passieren kann. Und bedenkt man, dass Emma einer der beliebtesten Mädchennamen der letzten Jahre war, wird das Schicksal der Roman-Emma noch sehr viel greifbarer und bedrohlicher. Ich brauchte beim Lesen ziemlich viele Pausen, um das Gelesene zu verarbeiten und um darüber nachzudenken. Gleichzeitig war es jedoch sehr schwer das Buch aus der Hand zu legen.

Selbstverständlich ist Emma kein Unschuldslamm. Sie ist kein netter Mensch, sie nutzt ihre Freundinnen und die Kerle schamlos aus. ABER das rechtfertigt nichts, rein gar nichts. Man kann mit 100 Männern/Frauen schlafen, aber das ist für andere noch lange kein Freifahrtsschein für eine Vergewaltigung oder eine Belästigung. Und schon gar nicht ist man selbst daran schuld. Ich fand die Engstirnigkeit ihrer Gemeinde und vor allem ihrer Familie unglaublich erniedrigend und einfach nur zum Kotzen. Wie kann man bitte so drauf sein und seiner eigenen Tochter einen solchen Schaden zufügen?! Vor allem wenn die Facebook-Bilder mehr als 1000 Worte sagen.

Ich konnte Emmas Verhalten sehr gut nachvollziehen, man leidet mit. Wie sie es zuerst nicht wahrhaben wollte und alles runtergespielt hat. Allerdings fehlte mir in der Erzählung der Schritt wie es dann tatsächlich zur Anzeige kam. Dieser Teil wird fast gar nicht erwähnt. Die Autorin beschränkt sich weitestgehend auf die Konsequenzen der Anzeige. Welche Auswirkungen diese auf Emma, ihre Familie und die Gemeinde hat.

Einen Einblick in Emmas Innenleben erhält man vor allem durch die Äußerungen, die in Klammern hinter die gesprochenen Aussagen stehen. Diese Zusätze sind sehr aufschlussreich, weil sie eine neue Erzähldimension öffnen und zeigen was wirklich in Emma vor sich geht bzw. was sie wirklich denkt oder verdrängt. Man gerät in einen Strudel von Schuldzuweisungen, Ohnmacht, Depression, Verzweiflung und Todeswünsche. Das Ende hat mich sehr überrascht und ich weiß immer noch nicht was ich davon halten soll. Einerseits kann ich es nachvollziehen, andererseits habe ich mir etwas anderes gewünscht; für Emma, für uns alle.

Ein wichtiger Bestandteil der Geschichte war das Setting. Emma lebt in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt. Ich denke bzw. hoffe, dass wenn es in einer Großstadt passieren würde, die Reaktionen anders wären. Vor allem fand ich schrecklich, dass es bereits zu Beginn ein paar Andeutungen auf die kommenden Geschehnisse gab, aber niemand seinen Teil daraus gelernt hat.

Wie ich eingangs erwähnte, weist der Roman auch ein paar erzählerische Schwächen auf, auf die ich noch kurz eingehen möchte. Ein paar Aspekte sind in der Geschichte sind untergegangen. Ich fand es sehr schade, dass die Autorin diese wichtigen Elemente übersprüngen hat (bspw. die Anzeige). Die erste Hälfte des Romans hat mir sehr viel mehr gefallen als die zweite. In der zweiten Hälfte gab es zu viele Wiederholungen, besonders in Bezug auf die Dialoge und Gedankengänge. Hier hätte die Autorin mehr in die Tiefe gehen oder andere Aspekte hervorheben sollen. Außerdem fand bei den Dialogen ein viel zu schneller Wechsel statt. Teilweise wusste ich gar nicht wer nun gerade spricht. Dadurch sind manche Dinge nicht richtig rübergekommen.

Bei diesem Roman ist, denke ich, die Nachricht wichtiger als der Stil bzw. die Qualität der Erzählung. Da kann man schonmal ein Auge zudrücken. Denn die Nachricht, die dieser Roman rüberbringt ist bärenstark und extrem wichtig. Schweigen, Bewusstlosigkeit, Passivität usw. sind kein Zeichen sexueller Zustimmung. Unglaublich, dass man das heutzutage extra betonen muss. Und das gilt für Männer wie auch für Frauen, in der Kleinstadt wie auch in der Großstadt, auf der Erde wie auch auf dem Mars.

Mein Fazit
‚Du wolltest es doch‘ behandelt brandaktuelle Themen und ist nichts für schwache Nerven. Der Roman erzählt eine bedrückende und realitätsnahe Geschichte, die einen, trotz stilistischer und erzählerischer Schnitzer, nicht kalt lässt. Es ist ganz sicher kein Roman für Jedermann bzw. -frau, aber man sollte es wenigstens versuchen. All den Emmas dort draußen zuliebe. Eine klare Leseempfehlung.

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