Das Buch liegt mittig. Links daneben liegt ein Ausdruck des Periodensystems: Rechts deneben liegen zwei gelbe Topflappen mit grünen Punkten und ein hölzerner Kochlöffel.

[Rezension] Eine Frage der Chemie

Eine Frage der Chemie – Bonnie Garmus

Das Buch liegt mittig. Links daneben liegt ein Ausdruck des Periodensystems: Rechts deneben liegen zwei gelbe Topflappen mit grünen Punkten und ein hölzerner Kochlöffel.

Verlag: Piper Verlag | Seiten: 464
Originaltitel: Lessons in Chemistry | Übersetzer*innen: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
Erscheinungsjahr: 2022

Kurzbeschreibung

Elizabeth Zott ist eine brillante Frau, die als Chemikerin am renommierten Hastings Research Institute angestellt ist. Doch in den 1960er Jahren bedeutete das vor allem eins: Sich mit Sexismus auseinanderzusetzen. Auf sich allein gestellt, muss sie im Schatten ihrer männlichen Kollegen ihren Arbeitsalltag bestreiten. Bis ihr der für den Nobelpreis nominierte, nicht weniger brillante Calvin Evans begegnet. Die beiden verlieben sich und leben in wilder Ehe miteinander. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit Elizabeth Zott und so muss sie sich als alleinerziehende Mutter, fernab der Chemielabore des Instituts, durch das Leben kämpfen. Sie wird der Star einer Fernsehkochshow, die als Chemiestunde aufgezogen wird. Doch in der Chemie-Koch-Show geht es nicht allein um gutes Essen, sondern auch um die Freiheit und Unabhängigkeit ihrer weiblichen Zuschauerinnen.


Meine Meinung

Dieser hochgelobte Roman hat mich zutiefst enttäuscht – das klingt jetzt sehr über-dramatisch und übertrieben, aber genau so empfand ich auch den Roman.

Inhaltlich habe ich etwas komplett anderes erwartet: Ich dachte, dass es um eine Frau gehen würde, die sich in den 1960er Jahren in den USA als Chemikern in einer Männerdomäne durchschlagen muss. Aber um ihre Arbeit als Chemikerin geht es in dem Roman so gut wie gar nicht – wenn man alle Seiten zusammennimmt, dann geht es vielleicht auf 50 Seiten (und das bei knapp 400 Seiten) um ihre Arbeit am Forschungsinstitut und um die Diskriminierung, die sie dort erfährt. Denn natürlich erfährt Elizabeth Zott Diskriminierung, Anfeindungen, Schmähungen und Gewalt. Aber die Thematisierung dieser Erfahrungen sind gefühlt nur eine Nebensache.

Im Vordergrund steht vor allem ihre Liebesbeziehung zum Star-Chemiker Calvin Evans. Und diese Beziehung hat dermaßen viel Drama zu bieten – herrje, das war ganz schön anstrengend. Auch als die Beziehung ein jähes Ende nimmt, reißt das Drama erstmal nicht ab und bis zum Schluss geht es eigentlich mehr um Calvin Evans als um Elizabeth Zott und den Feminismus. Es war einfach nicht die Geschichte, die ich lesen wollte.

Die Chemie-Koch-Show „Supper at Six“ fand ich oberflächlich betrachtet ganz amüsant. Auch die Idee Chemie und Kochen miteinander zu verbinden, finde ich sehr gelungen. Die Protagonistin möchte mit ihrer Kochshow zeigen, dass die „Durchschnitts-Hausfrau“ mehr ist als das. Aber die Art und Weise wie dieser Teil der Geschichte erzählt wird, war auch irgendwie ermüdend und einfach ein bisschen zu abgehoben.

Die Erzählperspektive hat mir auch sehr viel Kopfzerbrechen bereitet: Die Geschichte wird von einer Art allwissendem Erzähler geschildert, der (nur) bei entscheidenden Handlungspunkten in die Köpfe der anderen Figuren schlüpft, um ihre Sicht auf die Dinge zu schildern und vor allem um die Protagonistin zu charakterisieren. Ich fand das sehr irritierend, weil es einfach zu viel Telling und zu wenig Showing war.

Das Pacing der Handlung war auch irgendwie sehr seltsam. Die Romanhandlung erstreckt sich auf den Zeitraum von 1952 bis 1961 auf. Ich hatte am Ende der Lektüre irgendwie nicht das Gefühl, dass ganze 9 Jahre vergangen waren. Die erzählte Zeit kam mir definitiv kürzer vor.

Die Protagonistin Elizabeth Zott ist brilliant und wunderschön (und weiß) – sonst würde die Geschichte auch nicht funktionieren. Ihre Bildung hat sie sich in Büchereien angelesen. Aha, mehr erfährt darüber nicht so wirklich – ein Genie ist sie also auch. Insgesamt erfährt man über die Protagonistin nur sehr wenig und wenn, dann erzählt sie nur von den Ungerechtigkeiten, die sie erfahren hat – und davon gibt es eine ganze Menge. Wie die Vergewaltigung, von der direkt auf den ersten Seiten ausführlich berichtet wird. Und da frage ich mich: Was sol das? Aber egal welche Steine ihr das Leben (oder sagen wir die Männer – denn es sind fast immer Männer) in den Weg legt, sie meistert alles mit Bravour und lässt sich von ihrem Trauma nicht/nie unterkriegen. Sie scheitert nie und das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Elizabeth Zott ist einfach nur perfekt. Und das wurde auf Dauer ganz schön langweilig.

Elizabeth Zott ist außerdem unkonventionell, sturköpfig, ein wenig sozial unbeholfen und für ihre Zeit extrem feministisch, ja, man könnte meinen, sie ist ihrer Zeit um einige Quantensprünge voraus. Auf den Seiten vermittelt die Protagonistin oder sagen wir eher die Autorin durch den Mund der Protagonistin einen sehr modernen Feminismus und das auf eine sehr unangenehme Art und Weise. Die Protagonistin monologisiert und predigt was das Zeug hält – mit dem Vorschlaghammer und gefühlt sehr anachronistisch. Das fällt vor allem in der Kochshow auf. Und wie ich finde, wird hier vor allem dem White Feminism eine Bühne geboten. Für die Rechte Schwarzer Personen setzt sich die Figur zwar auch ein, aber nur in einem kurzen Absatz. Es kam mir vor als wäre die Autorin in Verlegenheit geraten und hätte noch hurtig hurtig einen Absatz dazu hingeklatscht.

Das Männerbild, das in diesem Roman gezeichnet wird, ist kein gutes. Bis auf ein paar „nice guys“ sind alle Männer durch die Bank weg Unterdrücker, Vergewaltiger, Missbräucher und Arschlöcher. Ja, okay, die 1960er Jahren waren bestimmt kein Zuckerschlecken, aber das war mir dann doch irgendwie zu viel. Außerdem reproduziert die Autorin damit auch sehr schädliche Klischees.

Im Figurenensemble fallen noch zwei weitere Figuren (negativ) auf. Einmal Elizabeths Hund Six-Thirty, ein ehemaliger Streuner, dem sie ein Heim geboten hat. Dieser Hund ist extrem intelligent für ein Tier. Anfangs fand ich ihn sehr putzig, aber irgendwann wurde er mir wirklich zu menschlich. Er hat mich stark an Timmy von den Fünf Freunden erinnert, nur ist Six-Thirty noch eine Spur krasser drauf. Sehr kurios. Auch Elizabeths Tochter Mad ist ein sehr ungewöhnliches Mädchen: Sie ist nicht nur ein vierjähriges Genie und noch unkonventioneller und sozial unbeholfener als ihre Mutter, sondern nimmt auch noch die Rolle einer guten Fee ein. Das Mädchen erschien mir für ihr Alter viel zu erwachsen, Genie hin oder her. Bei diesen Figuren driftet die Geschichte leider viel zu stark ins Surreale ab.

Im Roman wird auch sporadisch das alte Steckenpferd Wissenschaft versus Religion bedient. Aber auch nur so halbherzig. Eine richtige Auseinandersetzung findet meiner Meinung nicht statt. Also überzeugt hat mich da nichts.

Das Ende, ach je, das Ende. Um hier nichts zu spoilern, kann ich leider nicht viel sagen, außer, dass es einer Art Wunderheilung und Rachefeldzug gleich kam und irgendwie so ganz un-feministisch daherkam. Ich weiß auch nicht. Das Ende war einfach nur das Tüpfelchen auf dem sonst schon sehr enttäuschenden und anstrengenden I.


Mein Fazit

„Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus ist ein feministischer Roman, aber leider nicht die Art Roman, die ich erwartet habe. Dem Hype um diesen Roman kann ich mich leider nicht anschließen. Ich fand es enttäuschend und kapitelweise wirklich anstrengend zu lesen. Da war mein Durchhaltevermögen teilweise ganz schön strapaziert. Der Ausgangspunkt war richtig, hat dann aber im Laufe der Handlung eine ganz andere Richtung genommen als erwartet. Schade!


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