[Rezension] Shield Maiden

Shield Maiden – Sharon Emmerichs

Das Buch liegt auf einer Holzscheibe, daneben ein dekorativer Zweig getrockneter Blumen

Verlag: Head of Zeus | Seiten: 416
Erscheinungsjahr: 2023

Kurzbeschreibung

Seit ihrer Kindheit wünscht sich Fryda nichts sehnlicher als eine Schildmaid zu werden. Doch bei einem Unfall, den sie nur knapp überlebt, zieht sie sich eine schwerwiegende Verletzung zu, die eine bleibende Behinderung verursacht. Ihr Traum scheint in ungreifbare Ferne gerückt zu sein un doch fühlt sie eines Tages eine unerklärliche Macht in sich aufsteigen. Während der Feierlichkeiten anlässlich des fünfzigsten Regierungsjubiläums ihres Onkels, dem legendären König Beowulf, wird ihr Haus von fremden Kämpfern überfallen. Doch in den Tiefen der Erde erstarkt noch eine viel mächtigere Bedrohung, mit der Fryda verbunden ist.


Meine Meinung

Diesen Roman habe ich bei einem meiner vielen spontanen Buchhandlungsbesuchen entdeckt: Natürlich hat mich das Cover direkt in seinen Bann gezogen und der Klappentext klang auch sehr spannend und vielversprechend – und was soll ich sagen, das Buch hat sein Versprechen gehalten.

„Shield Maiden“ ist eine Neuinterpretation, die auf Teilen des Beowulf-Epos beruht. Wie sehr sich der Roman und das Heldengedicht ähneln, kann ich nicht sagen, da ich das Epos nie gelesen habe (die Filme zählen mMn nicht, aber ich arbeite bereits daran, diese Wissenslücke zu schließen). Der Roman spielt im 10. Jahrhundert in Götaland, zur Zeit der Helden und Legenden, wobei natürlich einer hervorzuheben ist, nämlich König Beowulf. Er spielt zwar auch in diesem Roman eine wichtige Rolle, allerdings geht es in „Shield Maiden“ um seine Nichte Fryda (Fryðegifu). In diesem Roman stehen zur Abwechslung mal Heldinnentaten im Vordergrund.

Fryda ist zwanzig Jahre alt und die Tochter von Weohstan, dem Patriarchen des Waegmunding Clans in Eċewealls. Trotz ihrer körperlichen Behinderung, die sie sich als Jugendliche zugezogen hat, kämpft sie darum eine Schildmaid zu werden. Fryda war mir von Beginn an sehr sympathisch, trotz eines kuriosen Gegensatzes: Sie ist um einiges klüger als ihr gut tut und gleichzeitig sehr naiv. Die Autorin nutzt diese Naivität als Mittel den*die Leser*in über die Welt, in der Fryda lebt, aufzuklären. Was mich an diesem Stilmittel gestört hat, versuche ich an einem Beispiel zu verdeutlichen: Fryda ist zwanzig Jahre alt und sie findet erst jetzt heraus, dass ihre engste Vertraute Hild, eine Dienerin im Hause ihres Vaters, einmal dafür bestraft worden ist, dass sie vor Dritten Frydas Namen genannt hat (die Dienerschaft darf nicht in so vertrauter Weise über die Herrschaften des Hauses sprechen). Wie kann es sein, dass Fryda von diesen Umgangsformen nichts weiß? Das hat sich mir nicht so ganz erschlossen, vor allem weil sie von vielen anderen Problemen, die im Haushalt herrschen, Bescheid weiß. Solche Situationen finden sich in den ersten paar Kapiteln immer mal wieder. Im verlauf des Buches nimmt das zum Glück ab, dennoch bleibt Frydas Naivität ein wichtiger Faktor, vor allem um Konflikte zu verursachen und anzuheizen. Wie dem auch sei, ist Fryda eine interessante Figur, die ich sehr gerne auf ihrem Abenteuer begleitet habe.

Dank des auktorialen Erzählers (in der 3. Person) erhält der*die Leser*in beim Lesen Einblicke in die verschiedenen Figuren (der erzählerische Blick hat mich sehr stark an den aus der „Tintenherz“-Reihe erinnert) und man lernt nicht nur Fryda etwas näher kennen. Da ist zum Beispiel Frydas Zwillingsbruder Wiglaf oder der große König Beowulf selbst oder die unbekannte, bedrohliche Macht, die in den Tiefen unter Eċeweall lauert (um nicht zu viel zu verraten, belasse ich es mal bei dieser ominösen Umschreibung). Man bekommt also ein gutes Gefühl, nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für alle anderen Nebenfiguren. Die Figuren erscheinen komplex und man bleibt ihnen gegenüber nicht unbeteiligt – im positiven oder negativen Sinne.

Frydas Zwillingsbruder Wiglaf hat mich zum Beispiel so einige Nerven gekostet – wie kann man nur so sein!? Er ist unglaublich gut geschrieben, seine Motivationen und seine Figurenentwicklung waren wirklich sehr stark. Aber meine Güte, Junge… Worauf ich mir keinen Reim machen konnte, war Beowulfs gütige Verhaltensweise Wiglaf gegenüber. In diesem Zusammenhang hätte ich mir gewünscht, ein bisschen tiefer in die Figuren eintauchen zu können. Man bekommt zwar ein Gefühl für die Figuren, bei manchen bleibt es aber nur bei einem oberflächlichen Blick.

Eine Figur, die mir ein bisschen Bauchschmerzen bereitet hat, war Hild, Frydas Vertraute und eine vertraglich gebundene Dienerin im Haushalt ihres Vaters. Sie ist eine Schwarze Figur und sorgt regelmäßig für den Comic Relief bei ernsten Szenen und Handlungspunkten. Ihre Figur entwickelt sich zwar über den Sidekick-Charakter hinaus, aber dennoch fand ich die Kombination ein bisschen schwierig. Über Hild hätte ich auch gerne sehr viel mehr erfahren wollen, denn so wie die Autorin die Figur und ihre Vergangenheit darstellt, versteckt sich da noch viel mehr. Ähnlich ging es mir auch mit Bryce, dem Schmied Eċewealls und Frydas persönlicher Schwertkampflehrer. Um seine Figur besser verstehen zu können, lohnt es sich wahrscheinlich, sich mit dem Beowulf Mythos weiter auseinanderzusetzen.

Natürlich gibt es auch einen Love Interest: Sein Name lautet Theow, es ist ein sprechender Name, der seine Stellung im Haus Waegmunding eindeutlig macht. „Theow“ bedeutet nämlich Sklave und genau das ist er, ein Sklave. Auch er hat über seine Beziehung zu Fryda noch so viel mehr zu bieten, denn seine Herkunft gibt Rätsel auf, die eine ganz eigene Geschichte rechtfertigen würden. Warum Fryda Gefühle für ihn hegt, bleibt dem *der Leser*in nicht verborgen – es stimmt einfach: von Frauen geschriebene, fiktionale Männer haben einfach das gewisse Extra… Es ist weniger die Liebes-Beziehung, die eine wichtige Rolle für die Handlung spielt, sondern eher ihre Beziehung allgemein, die auf einer sehr stabilen und ehrlichen Freundschaft beruht. Weder die romantischen Gefühle noch die freundschaftlichen wirkten aufdringlich oder künstlich erzeugt.

Die Handlung entwickelt sich eher langsam, wirkte aber zu keinem Zeitpunkt unnötig in die Länge gezogen. Man hat anfangs genug Zeit sich in der Welt und im Setting zurechtzufinden und die Figuren kennenzulernen, bevor die Handlung Fahrt aufnimmt und seinen abenteuerlichen, kämpferischen und spannenden Charakter entwickelt. Der Plot folgte auch keinem Schema-F und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass der Roman zu viele Tropes oder Klischees abfrühstückt. Neben der Beowulf-Legende spielt noch eine weitere Legende, die des „Lone Survivors“ eine wichtige Rolle, die als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte dient. Ich bin mir nicht sicher, ob auch diese zweite Legende auf einem Liedzyklus basiert oder gar im Beowulf-Epos eine Rolle spielt (ich werde es noch herausfinden). Ich hatte nur leider das Gefühl, dass die Autorin diese Legende noch mehr hätte ausschmücken und ausführlicher erzählen sollen.

Besonders spannend fand ich die Aufteilung der Handlung auf eine überirdische und unterirdische Ebene. Diese beiden Ebenen verfelchten sich im Verlauf der Handlung natürlich. Die beiden Ebene sind eine Art Spiegel des jeweils anderen: Während eine unerklärliche Magie in Fryda erwacht, geschieht etwas Ähnliches tief unter der Erde. Eine Bedrohung schüttelt ihren Schlummer ab und dank des auktorialen Erzählers lernen wir diese Bedrohung näher kennen. Auch hier schöpft die Autorin aus den Beowulf-Legenden. Der Roman beinhaltet also auf jeden Fall fantastische Elemente, auch wenn die Magie eher im Hintergrund wirkt und der Roman teilweise eher als fiktiver Historieroman daherkommt – daran habe ich mich aber überhaupt nicht gestört, ganz im Gegenteil!

Der Autorin ist es auf jeden Fall gelungen mich in Frydas Welt eintauchen zu lassen: Sie versteht sich aufs Schreiben! Auch sprachlich habe ich eigentlich nicht allzu viel auszusetzen. Ein paar Formulierungen haben mich sehr stark an „A Song of Ice and Fire“ erinnert und zwei oder drei plumpe Formulierungen waren auch dabei (besonders bei den etwas intimeren Szenen). Aber alles in allem ist „Shield Maiden“ ein wirklich gut gelungenes Debüt!


Mein Fazit

Ich wollte gar nicht mehr aufhören zu lesen, so tief war ich in der Geschichte von „Shield Maiden“ abgetaucht. Das Debüt enthält alle Elemente eines spannenden Abenteuers: rätselhafte Magie, unheimliche Flüche und Geheimnisse, held*innenhafte Kämpfe, Liebe, feuchtfröhliche Feste, legendäre Schwerter und vor allem eine sympathische und nahbare Heldin. Absolute Leseempfehlung!


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner