[Rezension] Unsichtbare Frauen

Unsichtbare Frauen – Caroline Criado-Perez

Aquila

Untertitel: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert | Original: Invisible Women. Exposing data in a world designed for men
Verlag: btb Verlag | Seiten: 494
Übersetzerin: Stephanie Singh | Erschienen: 2020

Kurzbeschreibung
Eine große Datenlücke beherrscht das Leben von Frauen weltweit. Diese Datenlücke umfasst alle Lebensbereiche (Alltag, Politik, Wirtschaft, Medizin, Forschung usw) und trägt maßgeblich zur Diskriminierung von Frauen bei. Mit ihrem Buch deckt die Autorin Caroline Criado-Perez diese diskriminierenden, gesellschaftlichen Strukturen auf und führt sie anhand einleuchtender Beispiele den Lesern und Leserinnen vor.


Meine Meinung
Der Feminismus, genauso wie Rassismus und Klimawandel, gehört zu den Gesellschaftsthemen, die mich bisher nur am Rande beschäftigt haben. So langsam ändert sich mein Blickwinkel – besser später als nie. Daher habe ich mich dem Buch „Unsichtbare Frauen“ von Caroline-Criado Perez gewidmet. Was nach der Lektüre von mir übrig geblieben ist? Ein erschrockener, entsetzter und aufgebrachter Haufen Mensch. „Unsichtbare Frauen“ gehört zu meinen ersten feministischen Lektüren, weshalb ich möglicherweise auch noch ein bisschen blauäugig an das Thema herangegangen bin. Aber das hat sich nach der Lektüre definitiv geändert.

Bevor ich anfing, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war ich der naiven Auffassung, dass mit ein bisschen Respekt und einem ordentlichen Miteinander, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, oder Menschen, erreicht werden könnte. Ich sage ja, naiv! Wir brauchen Feminismus – unbedingt. Mit Respekt allein lässt sich nämlich nicht viel ausrichten. Um es drastisch und plakativ zu formulieren: Respekt schützt eine Schwangere nicht vor Verletzungen, die von einem auf die Körpergröße und -masse eines Durchschnittsmannes angepassten Sitzgurtes herrühren. Respekt schließt keine Datenlücke. Was eine Datenlücke schließt, sind Forschung, Zuhören, Teilhaben. Das zeigt dieses Buch auf eine sehr eindrucksvolle und erschreckende Weise. Wir brauchen den Feminismus – jetzt mehr denn je.Respekt schließt keine Datenlücke. Was eine Datenlücke schließt, sind Forschung, Zuhören, Teilhaben. Das zeigt dieses Buch auf eine sehr eindrucksvolle und erschreckende Weise. Wir brauchen den Feminismus – jetzt mehr denn je.

In ihrem Buch zeigt die Autorin mit vielen Beispielen und Zahlen auf welche Weise, Frauen in den verschiedensten Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden – teilweise mit lebensbedrohlichen Folgen. Es beginnt mit Schneeschieben, der öffentlichen Toilettennutzung, geht weiter mit der Technik, der Sprache, dem Arbeitsplatz, der Interaktion zwischen Mann und Frau und zieht sich durch bis in den Bereich der medizinischen Forschung und der Wirtschaft. Ich könnte hier unglaublich viele Beispiele anführen, aber das ist nicht Sinn und Zweck dieser Rezension. Denn wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen möchte, sollte das Buch zur Hand nehmen und selbst lesen.

Das Buch zeigt, dass Männer einen sehr bequemen Platz in unserer Gesellschaft einnehmen, ihn für sich beanspruchen und ihn auch nicht wirklich teilen oder abgeben wollen. Mir hat es gezeigt, wie komplex, weitreichend und fast unlösbar das Problem rundum diese Gender Data Gap erscheint. Es ist erstaunlich einsehen zu müssen, mit wie vielen Dingen, ich mich in meinem Leben einfach abgefunden habe, in dem Glauben, dass sie nichts mit meinem Geschlecht zu tun haben. Vieles wusste ich auch einfach gar nicht. Es war auf jeden Fall eine sehr lehrreiche und augenöffnende Lektüre.

Aber so gut recherchiert dieses Buch auch ist, hat es auch ein paar Schwachstellen. Die Autorin führt Unmengen an Studien, plakativen Beispielen und Zahlen an. Sie bespricht hier also keine haltlosen Verallgemeinerungen oder Phrasen, sondern argumentiert daten- und evidenzbasiert. Das was sie sagt, ist also schwer abzustreiten. Dennoch ist es einfach zu viel. Es ist eine reine Informations- und Zahlenflut, die einen beim Lesen ein bisschen überrollt und plättet. Es war schwer, die wirklich wichtigen Fakten herauszufiltern. Zudem beschränkt sich die Autorin in ihren Ausführungen hauptsächlich auf die USA und UK. Man findet relativ wenige Informationen zu Europa (und noch weniger über andere Länder und Kulturkreise). Da kann man der Autorin aber nur bedingt einen Vorwurf machen, da sie nun mal aus dem angelsächsischen Sprachraum stammt und die Zielgruppe des Buches auch dort zu verorten ist.

Die Aufteilung der Kapitel leuchtet zwar ein, dennoch fand ich die inhaltliche Strukturierung etwas unübersichtlich und redundant. Besonders gegen Ende ging der rote Faden gelegentlich flöten. Aber ich sehe ein, dass es sehr schwer ist, ein solches allgegenwärtiges Problem logisch zu strukturieren. Man muss im Kopf behalten, dass Diskriminierung von Frauen sich durch alle unsere Lebensbereiche zieht und diese sind unmöglich getrennt voneinander zu betrachten.

Auffällig war, dass die Autorin stets von einem Durchschnittsmann spricht: der ist cis, heterosexuell, weiß, ist zwischen 25-30 Jahre alt, wiegt 70 kg und ist 1,77 groß (ja, ich weiß, ein Großteil der Männer fällt auch nicht unter diesen Durchschnittsmann, aber darum geht es hier nicht). Worauf die Autorin allerdings nicht eingeht, ist das ihren Ausführungen zugrundeliegende Frauenbild. Die Frau zwischen den Zeilen dieses Buches ist cis, heterosexuell, weiß, Mitte Dreißig, hat Kinder oder einen entsprechenden Kinderwunsch, ist gesund, nicht behindert, stammt aus der Mittelschicht. Und da ist mir aufgefallen, dass selbst ich nicht mal in dieses Raster passe. Die Autorin betrachtet das Thema nicht intersektional, heißt sie lässt bspw. lesbische, behinderte, nicht-binäre, trans und BIPoc-Frauen außen vor. Natürlich schreibt sie auch an manchen Stellen über diese Frauen, aber doch nur sehr oberflächlich, ohne auf die konkreten Probleme und Bedürfnisse, die diese Frauen haben, einzugehen. Denn diese Gruppen fallen nochmal ganz anderen Diskriminierungen zum Opfer. Natürlich kann man nicht allen gerecht werden, aber dann sollte man auf die Möglichkeiten und Einschränkungen des im Buch behandelten Stoffes eingehen und das herausstellen.

Wie ich eingangs erwähnt habe, hat mich die Lektüre als erschrockener, entsetzter und aufgebrachter Haufen Mensch zurückgelassen. Die Lektüre tat weh. Es war eine destruktive, nicht konstruktive Lektüre. Die Autorin zeigt keine oder kaum Lösungswege auf. Das Buch macht wütend, es frustriert, man fühlt sich ohnmächtig und machtlos. Es knallt uns Frauen unsere „Unzulänglichkeiten“, also unser bloßes Frau-Sein, das für die Gesellschaft so unangenehm und unpassend ist, vor die Füße. Wir sind solange unsichtbar, bis man uns wieder braucht: zur Bedürfnisbefriedigung: in sexueller Hinsicht (sexuelle Belästigung uä.) oder für die unbezahlte Care-Arbeit. Und ja, wie oft habe ich schon gedacht „Ach, wäre ich doch ein Mann“ (eines meiner Lieblings-Disneylieder war früher „Sei ein Mann“ aus dem Film Mulan). Die Kommentare von meinen männlichen (cis, hetero) Mitmenschen kann man sich wohl denken, oder? Und auf die Frage, ob sie gerne mal einen Tag als Frau leben wollen würden, kommt die Gegenfrage „Warum?“ zurück. Ja, warum auch?


Mein Fazit
Die Autorin spricht in ihrem Buch sehr plakativ, klar und deutlich über die Datenlücke, die die Diskriminierung von Frauen auf der ganzen Welt ermöglicht. Sie bespricht ein extrem komplexes Thema, wobei „komplex“ gar kein Ausdruck für dieses einschneidende und weitreichende gesellschaftliche Problem ist. Ich stufe dieses Buch als Pflichtlektüre ein, trotz einiger Schwachstellen und obwohl es dem Mainstream-Feminismus zuzuordnen ist. Dieses Buch zu lesen, darf nur ein erster Schritt sein. Hier gilt: Lebenslanges Lernen. Daher: absolute Leseempfehlung für alle Menschen.


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