Aus der Vogelperspektive fotografiert: Um das Buch herum liegt Konfetti in Herzform und in den Farben schwarz, grau, weiß und lila. Rechts neben dem Buch liegt ein Stück Russischen Zupfkuchens auf einem Teller mit einer Gabel.

[Rezension] Ace. What Asexuality Reveals About Desire, Society, And The Meaning Of Sex

Ace. What Asexuality Reveals About Desire, Society, And The Meaning Of Sex – Angela Chen

Aus der Vogelperspektive fotografiert: Um das Buch herum liegt Konfetti in Herzform und in den Farben schwarz, grau, weiß und lila. Rechts neben dem Buch liegt ein Stück Russischen Zupfkuchens auf einem Teller mit einer Gabel.

Verlag: Random House | Seiten: 224
Erscheinungsjahr: 2021

Kurzbeschreibung

Sexualität berührt alle Bereiche unseres Zusammenlebens – das gleiche gilt für Asexualität, auch wenn dieser Zusammenhang oft einfach nur übergangen und übersehen wird. In ihrem Sachbuch vereint die Autorin Angela Chen Kultur- und Sozialkritik, Reportage und Autobiographie und sie zeigt, auf welche Art und Weise Sexualität und Asexualität miteinander verflochten sind. Sie legt dar, welche Fragen, Unsicherheiten und Ängste das Leben von asexuellen Personen bestimmen und welche Chancen und Möglichkeiten sich daraus ergeben können.


Meine Meinung

Vor Kurzem erst habe ich „A quick and easy guide to asexuality” auf meinem Blog vorgestellt: das 101 zum Thema Asexualität. Dieser kurze Selbsthilfe-Comic kratzt gerade mal an der Oberfläche (und lässt auch einiges zu wünschen übrig). Das Sachbuch von Angela Chen hingegen hält sich nicht lange an der Oberfläche auf, sondern bricht durch diese hindurch und wartet mit einer Unmenge an Wissen und Denkanstößen auf, ohne dabei zu überfordern.

Nach der Lektüre dieses Sachbuchs kommt man gar nicht umhin festzustellen, dass Asexualität nicht „nur“ ein Label ist, nicht „nur“ die Abwesenheit von sexueller Anziehung beschreibt, sondern so viel mehr ist. Das was ich mir bisher an Wissen angeeignet hatte, war nur die Spitze des Eisbergs, nur die Kuvertüre auf dem metaphorischen Ace-Kuchen. Angela Chen zeigt, was sich darunter versteckt.

Nach einem einführenden Überblick zur Asexualität, in dem die Autorin auf konkrete Erfahrungen, Definitionen, Stereotype und Fehlannahmen eingeht, fängt sie an, unsere cis-heteronormative, übersexualisierte und amatonormative Gesellschaft auseinanderzunehmen. Die Autorin zeigt auf, welche gesellschaftlichen Implikationen und (angebliche) Selbstverständlichkeiten die Fokussierung auf Sex mit sich bringen. Sie entlarvt an welchen Ecken und Enden in unserer Gesellschaft die kompulsive Sexualität lauert, welche Schäden sie anrichtet und inwieweit Asexualität die Grenzen dieser kompulsiven Sexualität in Beziehungen (Ehe, Dating und Beziehungen) sprengt und wie dringend ein alternativer Umgang mit Liebe und Sexualität ist. Es sind Verflechtungen auf den Ebenen von Rassismus, Ableismus und Sexismus. Und Asexualität ist nur eine weitere Ebene im Bereich der Intersektionalität. Die Autorin erklärt, welche Rolle Politik und Aktivismus spielen, welchen Einfluss die Religion auf die eigene (A)Sexualität haben kann. Sie fragt danach, wie in unserer Gesellschaft Sex bzw. die Abwesenheit von Sex geframed wird: Dass Asexualität gemeinhin als „the invisible orientation“ („die unsichtbare Orientierung“) genannt wird, sagt so einiges über unsere Gesellschaft, über unser Miteinander und unsere Erwartungen an Sex aus. Und was genau es aussagt, erklärt die Autorin auf sehr umfängliche Weise.

Mich hat besonders überrascht, wie die Autorin den Consent-Diskurs aufrollt und neue Perspektiven darauf eröffnet. An dieser Diskussion wird besonders klar, dass nicht nur asexuelle Personen von einem Umdenken profitieren, sondern dass dieser Diskurs auch für allosexuelle Personen Relevanz hat: Denn Consent geht uns alle etwas an und ist leider (noch) keine Selbstverständlichkeit. Sowieso zeigt die Lektüre des Buches, dass Asexualität auch ein Gewinn für allosexuelle Personen ist, weil Asexualität Wege aufzeigt eine gesunde Beziehung zur eigenen Sexualität und allem, was dazu gehört, aufzubauen oder die eigene Einstellung dazu zu überdenken.

Die Autorin widmet ein Kapitel der männlichen Sexualität und bespricht darin, welche sexuellen Erwartungen an cis Männer gestellt werden und wie schädlich diese Erwartungen sein können. Auch geht sie auf die Verflechtungen zwischen Asexualität und der Incel-Kultur ein. Dieser Teil kam mir, um ehrlich zu sein, ein wenig zu kurz. Aber ich sehe auch ein, dass man über die männliche Sexualität und ihre gesellschaftlichen Verflechtungen wiederum ein eigenes Buch vonnöten ist.

Die Autorin verbindet ihre Darlegungen mit Erfahrungsberichten von anderen Ace-Personen, die sich irgendwo auf dem Spektrum verorten und sie stellt auch autobiographische Bezüge her. Sie gibt den Leser*innen die Möglichkeit, sich selbst in diesen Erfahrungen zu finden und die eigenen Gefühle und Erfahrungen zu validieren. Sie sorgt dafür, dass man sich selbst sieht und andere gesehen werden. Sie bricht mit der „Unsichtbarkeit“ dieser sexuellen Orientierung: Sie kontextualisiert, erklärt und gibt den Leser*innen so die Möglichkeit zu verstehen, warum man fühlt und denkt wie man es tut. Am Ende der Lektüre hatte ich das Gefühl, dass ich genau dieses Buch gebraucht habe – ohne es zu wissen.

Sprache ist Sein und Sein ist Sprache – das ist auch der Autorin bewusst und so liefert sie, neben den authentischen (Selbst-)Erfahrungen, auch eine Sprache, um diese Erfahrungen in Worte zu fassen. Sie hilft dabei, Konzepte, die mir irgendwie bewusst waren, die ich aber sprachlich nicht fassen konnte, endlich einen Namen, eine Bezeichnung zu geben.

Mit ihrem Buch weckt die Autorin eine Reihe von Denkanstößen. Man denkt über die eigenen Erfahrungen nach, blickt auf die eigene Gedankenwelt, die Erwartungen, die man an sich selbst und an andere hat und die andere (die Gesellschaft, der*die Partner*in usw) wiederum an einen stellen. Besonders hilfreich empfand ich in diesem Zusammenhang auch das Kapitel, in dem die Autorin diskutiert, wie sich Beziehungen zwischen allo- und asexuellen Personen gestalten können.

Die Offenheit mit der die Autorin all dies bespricht, fördert eine gewisse Zugänglichkeit: Als Leser*in fühlt man sich angesprochen, man ist involviert und man lernt sehr viel. Es ist kein Info-Dumping, sondern ein differenzierter und überlegter Bericht, der nicht den Anspruch hat, die Antworten auf alle Fragen zu haben.


Mein Fazit

“Ace. What Asexuality Reveals About Desire, Society, And The Meaning Of Sex” von Angela Chen ist für mich ein Jahreshighlight. Es war eine befreiende und bestärkende Lektüre. Abseits von diesem „emotionalen“ Blick auf das Buch, kann man dennoch nicht anders als zu dem Schluss zu kommen, dass es ein informatives und umfangreiches Sachbuch ist, das neue Perspektiven auf sich selbst, auf andere und die Gesellschaft insgesamt eröffnet. Absolute Leseempfehlung, egal ob allo- oder asexuell.


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