[Rezension] Die Tinktur des Todes

Die Tinktur des Todes – Ambrose Parry (Christopher Brookmyre und Marisa Haetzman)

TinkturTodes

Verlag: Piper Verlag | Seiten: 464
Originaltitel: The Way of All Flesh | Übersetzer: Hannes Meyer
Sprecher: Julian Mehne | Erschienen: 2020

Kurzbeschreibung
Edinburgh, 1847: Während ein Serienmörder in Edinburghs Unterwelt auf freiem Fuße ist und eine Reihe junger Frauen auf dieselbe Art und Weise ermordet werden, beginnt der junge Medizinstudent Will Raven seine Stelle als Famulus beim berühmten Geburtshelfer Dr. James Young Simpson. Das Hausmädchen Sarah arbeitet aushilfsweise in der Privatpraxis des Arztes und merkt schnell, dass Will nicht der ist, für den er sich ausgibt. Gemeinsam begeben sie sich auf die Spuren des Mörders.


Meine Meinung
Dieses Hörbuch war ein absoluter Zufallsfund und ich bin immer noch ganz begeistert von meinem guten Händchen als ich es auswählte. Zugegeben, anfangs war ich tatsächlich etwas skeptisch, weil mir einerseits die Sprecherstimme nicht zusagte und andererseits die Handlung nur langsam ins Rollen kam. Mit ein bisschen Durchhaltevermögen änderte sich dies allerdings schnell.

Zunächst werden die Hauptfiguren in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern eingeführt und vorgestellt: Will Raven, der Famulus von Dr. Simpson, Dr. Simpson selbst und Sarah, das Hausmädchen der Familie sowie Aushilfe in Dr. Simpsons Praxis. Sarah empfand ich als sehr überzeugende Figur: eigensinnig, selbstbewusst und klug – wohl klüger als es sich für diese Zeit, für ihren Stand und für ihr Geschlecht geziemte. Auch Dr. Simpson hat mir als Figur gut gefallen. Besonders interessant macht ihn der Umstand, dass die literarische Figur auf einer realen historischen Persönlichkeit basiert (und dabei ist er im laufe des Romans in guter Gesellschaft). Generell nimmt die Handlung häufig Bezug auf reale medizinhistorische Begebenheiten (bspw. Entdeckung und Verwendung des Chloroforms als Anästhetikum). Sehr spannend! Dadurch, dass die drei Hauptfiguren unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen angehören, werden Missstände und Privilegien sehr deutlich. Allerdings bedienen die Figuren auch bestimmte Stereotypen und Klischees ihres jeweiligen Standes und Geschlechts. Allerdings empfand ich dies weder als anstrengend noch als übertrieben.

Die Handlung bzw. die Mordermittlungen von Sarah und Will kommen nur ganz langsam in die Gänge. Die beiden beschnuppern sich eine ganze Weile, bis sie sich zu einem Team zusammenraufen. Die Dynamik zwischen den beiden könnte mensch als eine Art Hass-Liebe mit viel Humor oder Komik beschreiben. Später wird es richtig kriminell. Das Autor:innen-Duo (Chris Brookmyre und Dr. Marisa Haetzman) hat einen sehr gut durchdachten, medizinhistorischen Kriminalroman, mit einigen unerwarteten (aber plausiblen) Wendungen zu Papier gebracht. Ich habe die ganze Zeit über gebannt zugehört und auf die Lösung, wer hinter den Morden steckt, bin ich selbst nicht gekommen, sondern tappte bis zum Ende im Dunklen.

Die Romantik kommt in der Geschichte auch nicht zu kurz, aber wohl dosiert, nicht kitschig und eher nebenbei. Den etwas empfindlicheren Gemütern möchte ich allerdings eine Warnung aussprechen: Im 19. Jahrhundert steckte die Medizin, besonders die Geburtshilfe, noch in den Kinderschuhen. Das spiegelt dieser Roman auch wider (vielleicht ein bisschen zu sehr und zu oft): Die im Roman stattfindenden Geburten sind brutal und werden in all ihren blutigen Details explizit beschrieben; dabei ist die Wortwahl krud und eindringlich. Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass das Autor:innen-Duo erzählerisch den Ton der Zeit getroffen haben. Sie schreiben nicht über die Zeit, sondern in derselben. Die Beschreibungen sind atmosphärisch, düster und mensch hat tatsächlich das Gefühl, in diese Zeit und die Bilder abzutauchen.

Zu der Korrektheit der medizinhistorischen Fakten kann ich als Laiin nicht viel sagen. Dennoch denke ich, dass Dr. Marisa Haetzman ihre Hausaufgaben gemacht hat, zumal die Idee zu diesem Roman bzw. der Reihe während ihrer Recherchen zu ihrer Forschungsarbeit zum Thema der modernen Anästhesie kam (Dr. Haetzman ist Medizinhistorikerin und hat selbst als Anästhesistin gearbeitet).


Mein Fazit
Ein toller und außergewöhnlicher medizinhistorischer Kriminalroman! Gewitzte und verschlagene Figuren gepaart mit grausamen Morden und jeder Menge spannender historischer Fakten. Absolut empfehlenswert!


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