[Rezension] Wenn wir doch nur Löwen wären (CN: Transfeindlichkeit)

Wenn wir doch nur Löwen wären – Line Baugstø

Das Buch liegt rechts neben einem großen Plüschlöwen

Verlag: Luftschacht Verlag | Seiten: 144
Originaltitel: Vi skulle vært løver | Übersetzer*in: Andreas Donat
Erschienen: 2022

Kurzbeschreibung: Beste Freundin gesucht!

Malin wünscht sich eine beste Freundin mit der sie über alles reden, mit der sie alles unternehmen kann und die zu ihr hält. Als Leona neu in ihre Klasse kommt, scheint dieser Wunsch in Erfüllung zu gehen. Die beiden freunden sich sehr schnell an und haben viele Gemeinsamkeiten. Doch Leona umgibt ein Geheimnis: Sie erzählt nichts aus ihrer Vergangenheit, es gibt keine Fotos von ihr und in den Sozialen Medien gibt es keine Spur von ihr. Als Leonas Geheimnis ans Licht kommt, muss Malin entscheiden, ob sie bereit ist zu ihrer neuen Freundin stehen, allem Gegenwind zum Trotz…


Meine Meinung: Maus oder Löwe?

Die Geschichte um Malin und Leona hat mich wirklich auf ganzer Linie überzeugt. Im Vordergrund der Geschichte steht die Ausgrenzung, Diskriminierung und Stigmatisierung einer trans Person und die damit einhergehende Wichtigkeit von Freundschaft, Loyalität und Solidarität. Eine durch und durch bestärkende und ermutigende Geschichte, die weh tut – aber auch Hoffnung spendet.

Die Geschichte wird aus Malins Perspektive erzählt (Ich-Erzählerin), einer Siebtklässlerin, die sich häufig einsam fühlt und sich nichts sehnlicher wünscht als eine beste Freundin zu haben. Malin fühlt sich häufig als kleine, ängstliche Maus, dabei wäre sie doch gerne so mutig und stark wie ein Löwe. Wir erleben Malin ehrlich und authentisch, wie sie mit sich selbst ringt; wie sie versucht die Erwartungen, die sie an sich selbst hat und die andere an sie stellen, unter einen Hut zu bringen.

Durch Malin lernen wir Leona kennen, die Neue in der Klasse: Leona, die Löwin. Ist sie vielleicht die beste Freundin, die sich Malin schon so lange gewünscht hat? Denn trotz der Freundschaft, die sich zwischen den beiden Mädchen entwickelt, wird Leona nicht nur schnell zu einer Außenseiterin, sondern regelrecht zu einer Ausgestoßenen. Denn Leona ist trans und das passt vielen Klassenkamerd*innen (und deren Eltern) nicht ins Weltbild. Man möchte Leona gerne in den Arm nehmen, Mut zusprechen und ihr sagen, dass alles gut wird. Gleichzeitig weiß man ganz genau, dass Leona diese Worte schon zu oft gehört hat. Denn Leona braucht keine wohlgemeinten Worte, sondern Taten.

Um Malin und Leona herum erweckt die Autorin noch viele weitere Figuren zum Leben, wie die couragierte Amina, die scheinbar nur Antworten parat hat oder den Herzbuben Emil, Malins heimlichen Schwarm. Aber da gibt es auch die weniger sympathischen Figuren, wie Sarah (wobei unsympathisch hier fast schon eine Untertreibung ist) und die Unentschlossenen und Mitläufer*innen. Doch wir treffen nicht nur auf Teenager, sondern auch auf Erwachsene, Eltern und Lehrpersonal, die sich genauso fehlerhaft verhalten wie die Jugendlichen, dabei sollten sie es eigentlich besser wissen.

Durch die klare, direkte Sprache auf Augenhöhe, den flüssigen Schreibstil ohne viel Firlefanz, einer großen Bandbreite menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen und authentischer Figuren schreibt sich die Autorin direkt in das Herz und den Kopf der Leser*innen. Es fällt einem nicht schwer, sich vorzustellen, dass sich diese Geschichte auch an der Schule in der eigenen Nachbarschaft ereignen könnte (und sich wahrscheinlich sogar ereignet).

Obwohl meine eigene Schulzeit nun schon 10 Jahre zurückliegt, ist es der Autorin gelungen, dass ich mich in diese Zeit zurückversetzt gefühlt habe. Man erinnert sich (mit gemischten Gefühlen) an die Klassengemeinschaften, in denen man aufgewachsen ist, man denkt an die Cliquen, die Gruppenzwänge und die Dynamiken zurück – die guten und die weniger guten. Man kommt gar nicht umhin, sich die Frage zu stellen: Wie hätte ich reagiert? Wäre ich eine kleine, quiekende Maus oder ein mutiger, brüllender Löwe gewesen? Anstatt sich diesem Was-wäre-wenn hinzugeben, kann man jetzt richtig handeln. Man kann an der eigenen Gegenwart arbeiten und dafür sorgen, dass man im Hier und Jetzt niemanden mehr diskriminiert oder ausgrenzt. Wer nach Vorbildern sucht, wird in „Wenn wir doch nur Löwen wären“ fündig.

Wenn man über den Klassenraum und den Schulhof hinausdenkt, dann ist diese Geschichte, mit einigen Anpassungen, auch auf unsere Gesellschaft insgesamt übertragbar. Denn so eine Klassengemeinschaft ist letztendlich auch nur ein Abbild unserer Gesellschaft unter einem Brennglas. Alles was im Klassenverband und auf dem Schulhof in einem kleinen Rahmen passiert, geschieht in unserer Gesellschaft in einem viel größeren Umfang. Und mit ein bisschen Abstraktionsfähigkeit lassen sich die Ereignisse und Lektionen der Geschichte auch auf andere Diskriminierungsformen, wie zB Rassismus, Ableismus, Klassismus usw. leicht übertragen. Das macht dieses Jugendbuch besonders wertvoll.


Mein Fazit: Mehr als nur ein Jugendbuch…

Als ich in der 6. oder 7. Klasse war, sollten wir im Deutschunterricht Buchpräsentationen vorbereiten. Wenn ich könnte, würde ich meinem jüngeren Ich dieses Buch in die Hand drücken und sagen: „Hier, stell dieses Buch vor“. Natürlich ist das nur Wunschdenken, was ich damit eigentlich sagen möchte, ist Folgendes: Ihr müsst eine Buchpräsentation halten? Dann stellt doch dieses Buch vor (und ladet am besten auch noch alle Eltern und Lehrer*innen zu eurer Präsentation ein). „Wenn wir doch nur Löwen wären“ ist mehr als nur ein Jugendbuch. Auch Erwachsene können aus der Geschichte um Malin und Leona sehr viel lernen. Und ganz ehrlich, bei all der Feindlichkeit, die den Leonas unserer Gesellschaft entgegenschlägt und die für die Betroffenen teilweise tödliche Konsequenzen hat, hat unsere (cis heteronormative) Gesellschaft ein solches Buch bitter nötig.

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