[Rezension] Couchsurfing in Saudi-Arabien Rezensionsexemplar | Werbung

Couchsurfing in Saudi-Arabien – Stephan Orth

Das wüstenfarbene Buch liegt auf einem weißen, flauschigen Untergrund. In der oberen Hälfte des Bildes liegt eine dunkelgraue, ebenfalls flauschige Decke. Darauf (in der rechten Ecke) ein graues Kissen, schräg darunter eine Terracotta-Kanne und links daneben ein Teeglas auf einem rot-weißen Unterteller. Links im Bild ist ein blau-grauer Reiserucksack sichtbar, aus dem ein Mundnasenschutz herausragt. Neben dem Buch liegt eine Sonnenbrille mit dunklem Gestell.

Verlag: Malik Verlag | Seiten: 253
Erschienen: 2021

Kurzbeschreibung: Zwischen Tradition und Moderne

„Meine Reise durch ein Land zwischen Mittelalter und Zukunft“, so lautet der Untertitel zu Stephan Orths neuem Couchsurfing-Buch. Ende 2019 macht sich der Couchsurfer Stephan Orth auf den Weg in ein Land, das noch so gut wie keine*n Tourist*in zu Gesicht bekommen hat: nach Saudi-Arabien. Als touristischer Pionier lernt er die Kultur, die Menschen, die heimischen Sofas und vor allem die Wüste mit ihren Kamelen kennen und nimmt den/die Leser*in mit auf diese Reise.


Meine Meinung: ein neuer Sehnsuchtsort?

Wenn Journalist*innen in den Medien über Saudi-Arabien berichten, dann kann man meist von Negativschlagzeilen ausgehen. Mit Stephan Orths „Couchsurfing in Saudi-Arabien“ wird diese Negativpresse ordentlich aufgemischt. Saudi-Arabien hat sich für die restliche Welt geöffnet und Stephan Orth war als einer der ersten vor Ort.

Während Leipzig vor ein paar Wochen unter einer dicken Schnee- und Eisdecke versunken ist, habe ich mich von meiner gemütlichen Couch aus auf den Weg ins heiße Wüstenland gemacht. Schon hier: Zwei Extreme, die aufeinanderprallen. Etwas, das sich in dem Buch fortsetzen wird: „Terror und Geschenke“, „Schläge und Schokolade“ oder „Spaß und Exekutionen“ lassen einige der (reißerischen) Kapitelüberschriften verlauten. In dem Reisebericht begegnen sich nicht nur Extreme, sondern auch Grenzen und Superlative. Nicht mal vor Schnee ist man zwischen den Seiten dieses Reiseberichts sicher.

Ich bin ein großer Fan von den Couchsurfing-Büchern. Von meiner heimischen Couch bin ich dem Autor schon in den Iran, nach Russland und China gefolgt. Und so konnte ich mir sicher sein, dass Stephan Orth mich auch dieses Mal wieder wunderbar unterhalten würde. Und: Ich hatte recht!

Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, Stephan Orth bei seinen Streifzügen durch die Wüste, die Städte und Straßen Saudi-Arabiens an der Seite von stinknormalen Menschen zu begleiten. Dank seines Schreibstils und den qualitativ-hochwertigen Fotografien und schwarz-weiß Drucken habe ich viel gesehen, ohne mich auch nur einen Millimeter vom Sofa zu bewegen. Er ist ein Meister im Storytelling. Er verwandelt die trockenste Wüste in eine erfrischende und aufregende Wohlfühloase. Er schreibt auf eine sehr bildhafte Art und Weise, arbeitet mit Vergleichen:

„Das Terminal hat gelbliche Wände und graue Säulen, Lichtkonzept und Geruch lassen an eine Mehrzweck-Sporthalle aus den Siebzigern denken.“ (S. 40)

Sein Ton ist häufig charmant und frech, öfters auch ernst, teilweise ein wenig überheblich, meistens ironisch und übertrieben, gelegentlich reißerisch und plakativ, aber auch relativierend. Es ist das Unerwartete, das Neue, das Unerhörte, das er mit viel Liebe zum Detail beschreibt. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, veräppelt seine Gastgeber, sich selbst, das Gastland und nimmt auch sein Heimatland Deutschland aufs Korn. Seine „Kleine Kamelkunde“ versorgt den/die Leser*in mit amüsanten und wissenswerten Infos oder auch Fun-Facts über Kamele. Und obwohl ich jetzt zum Team Milchalternativen gehöre, würde ich dennoch gerne mal Kamelmilch probieren. Seine Reise nimmt zwar ein unverhofftes Ende (gegen Ende wird das Erzählen ein wenig holprig), dennoch gelingt ihm gekonnt ein runder Abschluss.

Stephan Orth zeigt, dass Saudi-Arabien mehr ist als nur Wüste, Erdöl und politische Skandale (auch wenn er, vor allem über Letzteres, natürlich nicht einfach hinwegsieht). Es ist ein Land mit einer interessanten Kultur, einer reichen Geschichte und mit abwechslungsreichen Landschaften (was selbst den Einwohnern nicht vollständig bewusst zu sein scheint). Dort leben Menschen, die genauso normal und einzigartig sind wie du und ich. Stephan Orth spricht mit ihnen über ihren Alltag, ihre kleinen und großen Sorgen, über ihre Hoffnungen, ihre Ängste, ihre Wünsche, ihre Vorstellungen, ihren Glauben, über gesellschaftliche Probleme, über Tradition und Fortschritt. Überall im Buch strahlt einem ein gastfreundliches Lächeln entgegen, das Geselligkeit, gutes Essen, Tee und Kaffee, Gemütlichkeit, gute Gespräche und gegenseitige Neugier verspricht. Während Tourist*innen an seinen bisherigen Reisezielen zum Alltag gehören, sind sie in Saudi-Arabien ein Novum. Die Menschen, denen der Autor begegnet sind genauso fasziniert von ihm wie er von ihnen.

Bei all der Neugier wirft der Autor auch kritische Blicke hinter den Vorhang aus Schönfärbung und Selbstdarstellung, den jedes Land seinen Reisenden vorhält. Er stößt immer wieder politische/gesellschaftskritische Diskussionen an, doch leider kommt er damit nicht weit, weil seine Gastgeber*innen sich kaum trauen, kritische Äußerungen zu tätigen (bzw sie abgedruckt zu wissen). Somit bleibt es relativ einseitig. Dennoch hält es den Autor nicht davon ab, seine Gedanken und Meinung mit seinen Leser*innen zu teilen. Man merkt ihm an, dass er ein verantwortungsbewusster Reisender und Berichterstatter ist. Er versucht alle Seiten zu zeigen, egal wie positiv oder negativ, wie schmeichelhaft oder unvorteilhaft sie erscheinen mögen. Außerdem ist er sich auch seiner Rolle als Repräsentant seines Heimatlandes bewusst und er relativiert seinen Blick auf sich selbst und auf Deutschland. Auch seine Privilegien als männlicher Tourist sind ihm bewusst (auch wenn das nicht immer durchscheint).

Was mich ein wenig überrascht hat, war, dass er mich mit seinem ausführlichen und facettenreichen Bericht zwar neugierig auf Land und Leute gemacht hat, in mir aber nicht der Wunsch gewachsen ist, das Land auf eigene Faust zu bereisen. Das ist keineswegs die Schuld des Autors, sondern es ist viel mehr den gesellschaftlichen Umständen geschuldet, die in Saudi-Arabien vorherrschen. Stephan Orth nennt es sein „persönliches Anti-Utopia“: ein Land, in dem Konzepte wie Demokratie, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen „Mangelware“ sind (S. 19). Zwar zeigt er in seinem Bericht, dass man dies nicht pauschalisieren darf, dennoch ist Saudi-Arabien für mich nicht zu einem Sehnsuchtsort geworden.

Ich denke, dass es vor allem daran liegt, dass Saudi-Arabien von vielen gesellschaftlichen Missständen geprägt ist (Stichwort: Anti-Utopia). Als Frau habe ich beim Lesen vor allem auf die Darstellungen des Frauenbildes geachtet. Und was soll ich sagen: Es war zum Haare raufen. Die Aussagen, die einige seiner Gastgeber zu Themen wie Gleichberechtigung und Respekt getroffen haben, sind mMn problematisch. Und ja, ich gendere hier absichtlich nicht, denn Stephan Orth ist hauptsächlich bei Männern untergekommen. Und das verwundert nicht. Zwar versucht er mit Frauen in Kontakt zu treten („Keine Antwort ist auch eine Antwort“, S. 155) und er trifft sich auch mit einer Handvoll Frauen, aber naja… Und ja, ich war beim Lesen auch oft neidisch auf ihn. Denn ich vermute, dass ich als Frau nur 1/3 von dem erleben könnte, worüber er so begeistert schreibt.

Ansonsten herrscht in diesem Buch ein starker Testosteron-Überschuss vor und das spiegelt sich in den Aussagen über das Zusammenleben von Mann-Frau auch wider. Eine Aussage, die mich ganz besonders zum Lach-Weinen gebracht hat, war folgende:

„Wenn eine Frau mich respektiert, dann respektiere ich sie auch“, erklärt er mir, was ganz vernünftig klingt, bis ich um eine Präzisierung bitte: „Und wie zeigt eine Frau ihren Respekt?“ „Indem sie das tut, was ich sage.“ (S. 198)

Dieser Ton zieht sich durch das ganze Buch. Ich weiß, dass ich nicht vorurteilslos an die Lektüre des Buches herangegangen bin, aber diese Aussagen haben meine Erwartungen dann doch irgendwie übertroffen. Sie sind mir mehr als nur negativ aufgestoßen (das ist mein ganz persönliches Empfinden) und irgendwo fehlte mir da dann doch das Verständnis. Kulturelle und religiöse Unterschiede hin oder her.

Natürlich ist es einfach, mit dem Finger auf eine Gesellschaft zu zeigen, in der Klassismus, Rassismus und Misogynie allgegenwärtig sind, während auch das eigene Land Schwierigkeiten damit hat, diese strukturellen Probleme anzuerkennen und dagegen vorzugehen; auch darauf nimmt der Autor hin und wieder Bezug. Er kritisiert auch den deutschen Umgang mit dem Islam und zeigt deutlich, dass auch wir noch sehr viel zu lernen haben.

Die Menschen eines Landes mit ihrer Politik und Religion gleichzusetzen und über einen Kamm zu scheren, ist falsch und für ein gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen-Wollen absolut hinderlich. Das wird bei den Gesprächen mit seinen Gastgebern deutlich. Und die Gespräche beweisen auch, dass sich das Land in eine neue Richtung bewegt – wenn auch langsam.


Mein Fazit: Es war mir ein Vergnügen!

Auch dieses Couchsurfing-Abenteuer von Stephan Orth hat mich auf eine außergewöhnliche Reise mitgenommen, die ganz nach dem Motto „Nur wer reist, kann auch etwas erleben“ verlaufen ist. Obwohl mich sein Bericht nicht dazu verlockt, selber mal nach Saudi-Arabien zu reisen, hat mir die Lektüre sehr gut gefallen. Ich habe viel von und über Saudi-Arabien gesehen, gehört und gelernt. Absolute Leseempfehlung.


Vielen Dank an den Malik Verlag (Piper Verlag) für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars und somit für das Vertrauen in meinen Blog und mich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner